Fotowettbewerb Projekte
JURY AWARD 2020 für Anna Galí
Ein Fotoprojekt, das die Herzen berührt.
Anna Galí aus Spanien gewann den mit 1'500 Franken dotierten Jurypreis. Ihr einzigartiges Projekt "Time on Quaaludes and Red Wine" bewegte die Jury. Ihr Projekt ist ihrem 18-jährigen Sohn gewidmet, der verstorben ist und den sie durch seine digitalen Hinterlassenschaften auf seinen Handys, Laptops und seinem sozialen Netzwerk wieder kennen gelernt hat: ein Teil von ihm, den sie nicht kennt und der sich hinter seiner eigenen aussergewöhnlichen Normalität verbirgt.
Anna Galí erklärt: Die Technologie hat die Art und Weise verändert, wie wir mit den anderen interagieren, noch mehr unter den jungen Menschen, die gerade erst ihre Identität aufbauen. Sie sind (wie wir alle) mehr denn je miteinander verbunden, aber auch mehr denn je allein. Unter Verwendung verschiedener Quellen (analoge Fotografie, digitale Aneignung, Familienarchiv, Texte, persönliche Dokumente, Screenshots, Bilder der eigenen Urheberschaft) befasst sich ToQaRW mit Themen unserer Zeit wie Identitätsbildung in der Adoleszenz, familiären Beziehungen, den Online-Drogenmärkten, Sucht, Tod und Trauer oder der Dualität zwischen der Identität, die wir zeigen, und der digitalen/virtuellen Identität.
Gilles Steinmann, Mitglied der Jury und Leiter der NZZ-Bildredaktion, schreibt über das Projekt von Anna Galí: Ihre Arbeit hat mich süchtig gemacht, nachdem ich ihre Erklärung gelesen hatte. Es wird deutlich, wie persönlich dieses Projekt ist und wie sie einen Weg findet, den Verlust ihres Kindes zu verarbeiten. Wenn man das Bild nacheinander betrachtet, erzählt es viele Geschichten auf verschiedenen Ebenen, so dass dem Betrachter klar wird, wie komplex Fotografie werden kann: Es ist persönlich, es ist eine Rekonstruktion dessen, was sie vielleicht verpasst hat, um ihrem Sohn zu helfen, es ist eine Kritik an unserer Zeit mit dem Druck der Gesellschaft auf uns als Individuen. Es ist auch ein geschichtlicher Weg, der verschiedene Wege aufzeigt, wie Fotografie als Kommunikationsmittel eingesetzt werden kann.
Ein besonderer Dank geht an die Jury des Festivals: Audrey Hoareau, Kuratorin von Photo Basel 2020; Margherita Guerra, Direktorin des Fotofestivals Lenzburg; Gilles Steinmann, Leiter der NZZ-Bildredaktion; Guido Schmidtke, Bildredakteur STERN.
Time on Quaaludes and Red Wine
Anna Galí | 2018, Barcelona
Projektbeschrieb
Nach dem plötzlichen und unerwarteten Tod meines Sohnes Tomeu im März 2017, der im Alter von nur achtzehn Jahren verstarb, entdeckte ich – dank der digitalen Vermächtnisses und der Spuren, die wir alle in diesen Tagen hinterlassen – durch Texte und Bilder, die in seinem Telefon, seinem Laptop oder seinem sozialen Netzwerk gefunden wurden, einen Teil von ihm, den ich nicht kannte und den er hinter seiner außergewöhnlichen Normalität verbarg. Jemand, der mit Medikamenten und Drogen einen Ausweg aus seinem Unbehagen in der Welt suchte. Seine Generation hat die Entwicklung der Fotografie, dank Internet, mobilen Geräten und sozialem Netzwerk, hin zu neuen Nutzungsmöglichkeiten miterlebt. Bilder sind zu einem kommunikativen Akt geworden, der in dieses "Paralleluniversum" eingefügt ist. Ihre visuelle Geschichte reicht von den allerersten Filmfotos im Familienalbum bis zu den neuesten Fotos und Videos, die auf Snapchat oder Instagram geteilt werden. Dasselbe geschah mit dem Ausdruck ihrer Wünsche, Sorgen oder Frustrationen, die vom Papiernotizbuch auf das Internet und das soziale Netzwerk übergesprungen sind. Die Technologie hat die Art und Weise verändert, wie wir mit Anderen interagieren, noch mehr unter den Jugendlichen, die gerade dabei sind, ihre Identität aufzubauen. Sie sind (wir alle sind) mehr denn je miteinander verbunden, aber auch mehr denn je allein. Und wir, die wir Eltern sind, lernen unsere Kinder nie ganz kennen – und das ist ganz natürlich, aber diese Kluft zwischen den Generationen ist mit der Technologie gewachsen. Unter Verwendung verschiedener Quellen (analoge Fotografie, digitale Aneignung, Familienarchiv, Texte, persönliche Dokumente, Screenshots, Bilder der eigenen Urheberschaft) befasst sich «Time on Quaaludes and Red Wine» mit Themen unserer Zeit wie Identitätsbildung in der Adoleszenz, Familienbeziehungen, den Online-Drogenmärkten, Sucht, Tod oder Trauer oder der Dualität zwischen der Identität, die wir zeigen, und der digitalen/virtuellen Identität. Für «Time on Quaaludes and Red Wine» ist es ein wesentlicher Teil meines Trauerprozesses, da ich versuchen musste, meinen Sohn zu verstehen, um zu wissen, an wen ich mich erinnern, wen ich vermissen und wen ich weiterhin lieben sollte, aber es ist auch eine Möglichkeit, ihn uns über seine eigene Identität und seine eigene Geschichte erzählen zu lassen, eine Geschichte, in der sich seine Altersgenossen in vielen Aspekten identifiziert sehen können.
Autorenbiographie
Seit ihrer Jugend interessiert sich Anna Galí für die Fotografie als Dokumentations- und Ausdrucksmittel, vielleicht weil sie sie in ihrer Kindheit dank ihrer Brüder, die in der Garage des Elternhauses einen dunklen Raum eingerichtet hatten, aus erster Hand kennen gelernt hat. Ihre erste Kamera kaufte sie 1984 nach harter Sommerarbeit beim Eisverkauf an der Costa Brava – und hat dann nie aufgehört zu fotografieren. Sie studierte Mathematik und entschied sich später in Ihren Dreißigern, ihre autodidaktische Ausbildung in der Fotografie weiterzuentwickeln, indem sie mehrere Online- und persönliche Kurse und Workshops durchführte. Zwischen 2013 und 2015 stellte sie ihr erstes Projekt, Gespenster von Comala, das auf dem Buch "Pedro Páramo" des mexikanischen Autors Juan Rulfo basiert, an mehreren Orten in Katalonien aus. Durch den Besuch des Fotografie- und Text-Workshops (Grisart-Schule) und des Spezialisierungskurses für Fotobuch-Editing (IEFC-Schule) entdeckte sie ihre Leidenschaft für das fotografische Erzählen, die Kombination von Text und Bild beim Erzählen von Geschichten und ihre Leidenschaft für Fotobücher. Im Jahr 2017 besuchte sie den Projekterstellungskurs (Grisart, Barcelona), wo sie das Projekt «Time on Quaaludes and Red Wine» durchführte. Gegenwärtig verbindet sie eine nicht-fotografische Lehrtätigkeit mit ihrer beruflichen Tätigkeit in der Architektur- und Innenfotografie und mit der Entwicklung persönlicher fotografischer Projekte.
There is Nothing New Under the Sun
Kata Geibl | 2019, Budapest
Projektbeschrieb
«Eine Generation geht, und eine Generation kommt, aber die Erde bleibt für immer. Die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter und eilt zu dem Ort, an dem sie aufgeht. Was gewesen ist, ist, was sein wird, und was geschehen ist, ist, was geschehen wird, und es gibt nichts Neues unter der Sonne.»
Frederic Jameson sagte einmal, dass es einfacher ist, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Unsere heutige Kultur ist in hohem Maße vom globalen Kapitalismus beeinflusst, der jeden Teil unseres Lebens beeinflusst. Der Mythos der Gesellschaft ist, dass wir, wenn wir hart genug arbeiten, «jemand» werden können. Diese Art von Individualismus führte zu dem Glauben, dass wir glauben, dass die Welt zum Wohle der Menschheit existiert. Wir sehnen uns nach Perfektionismus und nutzen gleichzeitig die Ressourcen der Erde, als gäbe es kein Morgen. Als Künstlerin versuche ich immer, über unsere zeitgenössische Kultur und die Welt, in der wir leben, nachzudenken, um zu spiegeln, was in unserer Gesellschaft geschieht. Ich glaube, wir alle können den Aufbruch dieser neuen Ära spüren, auch wenn uns die Worte fehlen, um sie zu beschreiben. Die Art und Weise, wie wir konsumieren, uns erkundigen, abstimmen, kommunizieren und arbeiten, ändert sich jeden Tag rapide. «There is Nothing New Under the Sun» fängt den Zeitgeist unserer Zeit ein, ohne dem Betrachter Antworten zu geben, sondern lenkt seinen Geist und seine Kreativität in die Richtung der Geschichte hinter den Bildern.
Autorenbiographie
Kata Geibl (1989, Budapest) ist Fotografin, die in Den Haag lebt und arbeitet. Ihre Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf globale Themen, Kapitalismus, kollektives Gedächtnis und die Zweideutigkeiten des fotografischen Mediums. Ihr Werk Sisyphus erhielt internationale Aufmerksamkeit, wurde bei UNSEEN Amsterdam ausgestellt, worauf ihre erste Einzelausstellung in Budapest folgte. Für die Serie erhielt sie den Paris Photo Carte Blanche Award für aufstrebende Talente, und im selben Jahr wurde sie für den Palm* Fotopreis nominiert. Im Jahr 2019 erhielt sie das József-Pécsi-Fotostipendium und wurde vom Capa Center Budapest als Talent für die Futures Platform nominiert. In diesem Jahr gehört sie zu den Finalisten des 35. Hyéres-Festivals und ist Grand Prix-Finalistin des Fotofestiwal Lodz.
È Così la Vita - Eine Ode an den Stillstand
Lea Meienberg | 2018, Sardinien
Projektbeschrieb
Heutzutage sehnen sich viele Menschen nach Einfachheit, nach einem Ort sicher vor dem stetig steigenden Informationsfluss, im Einklang mit der Natur. Während ständig neue Ansätze für eine ausgewogene Lebensweise erforscht und gefördert werden, haben einige Gemeinschaften ihr natürliches Gleichgewicht nie aufgegeben.
Sardinien gehört zu einer von fünf Blauen Zonen, den Regionen der Welt, in denen Menschen ungewöhnlich lange leben. In abgelegenen Dörfern im Innern der Insel leben die ältesten Menschen Europas. Ihre Lebensweise ist seit Generationen fast unverändert, sie scheinen von der Aussenwelt weitgehend abgeschnitten. Ich habe diese unberührten Gegenden besucht und wollte die Dorfältesten fotografieren, ihr einfaches Leben erkunden und ihre Geschichten dokumentieren. Nur ein paar Stunden von der pulsierenden Hauptstadt Cagliari und von weltberühmten Strandurlaubsorten entfernt, dreht sich fast alles um die Familie, das Essen und die Leidenschaft für Selbstversorgung. Die Menschen sind agil und geschäftig (in ihren Gärten, ihren Reben und beim Kochen) aber Stress und Leistungsdruck sind ihnen fremd. Die Serie «E Cosi la Vita» («So ist das Leben») illustriert meinen Blick auf die naturverbundene Existenz dieser Inselbewohner und die Mystik ihres langen Lebens.
Visuelle Umsetzung: Um die von einem langen Inselleben geprägten Gesichtszüge der Menschen hervorzuheben, wählte ich für die Porträts Schwarz-Weiss mit neutralem Hintergrund und kontrastierte sie mit den Farben der Landschaften und Lebensmittel, den wesentlichen Bestandteilen des täglichen Lebens der Sarden. Durch die Anordnung der einzelnen Bilder zu einem grossen entsteht eine Szenerie, die die Befindlichkeiten und Eigenheiten dieser stillstehenden Welt seziert und dem Betrachter Raum schafft, über Zeit und das eigene geschäftige Leben nachzudenken.
Autorenbiografie
Lea Meienberg ist freischaffende Fotografin und lebt in Zürich. Seit 2008 ist sie für redaktionelle Kunden und verschiedene Unternehmen und Agenturen tätig.
Lea wurde 1982 in der Schweiz geboren und studierte Fotografie an der F+F Hochschule für Kunst und Design in Zürich. Persönliche Projekte und Aufträge führten sie nach Berlin, New York, Hongkong und in afrikanische Länder wie Angola, Tansania und Kenia. Lea ist spezialisiert in Porträtfotografie und Reportage, ihre Arbeiten werden von grossen europäischen Verlagen publiziert und erscheinen in Magazinen und Zeitungen wie Die Zeit, Monocle, The Telegraph, NZZ, Sonntagszeitung und Le Temps. Neben ihrer redaktionellen Arbeit ist sie regelmässig für Unternehmen wie Sprüngli, SBB und Schweiz Tourismus tätig. Lea wird von der Agentur 13 Photo repräsentiert und ist Mitglied von Near, der Schweizerischen Vereinigung für zeitgenössische Fotografie.
RENAISSANCE
Nils Stelte | 2019, Berlin
Projektbeschrieb
Renaissance taucht in den spirituellen Eklektizismus von Städtern ein. In Wäldern, Gemeindesälen, Krankenhäusern und Hotellobbys versammeln sie sich zu Ritualen. Abseits des Christentums suchen sie nach geistiger Katharsis und Regeneration. Obwohl Stress als individuelle psychische Belastung auftritt, ist er ein vielfältiges gesellschaftliches Symptom. Er erobert den heutigen Alltag und verdichtet sich in der Stadt. In dem Wunsch nach Orientierung, Freiheit, Linderung und Optimismus praktizieren ihre Bewohner symbolische Handlungen und öffnen das bisherige Selbstverständnis für neue Bedeutungen und Erfahrungen. In scheinbar inszenierten Fotos dokumentiert Nils Stelte Individuen auf der Suche nach Wegen zur Überwindung ihrer persönlicher Krisen. Diese bewegen sich zwischen Selbstoptimierung und Selbstverwirklichung, zwischen Spiritualismus und Pragmatismus, ihnen gemein ist, dass sie Menschen psychisch resilient machen sollen.
Autorenbiographie
Nils Stelte (*1989 in Berlin, Deutschland) ist ein in Berlin lebender Fotograf. Betreut von Ute Mahler absolvierte er 2017 die Ostkreuzschule für Fotografie. Zuvor schloss er sein Studium in Politik und Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin ab. Ausgehend von seinem sozialwissenschaftlichen Hintergrund erforscht er in seinen Arbeiten den Wandel sozio-politischer Überzeugungen und untersucht deren Einfluss auf das Individuum. In «Security» dokumentiert er den Aufbau von Sicherheitsapparate nach den Terrorserien in Europa. Die Arbeit umfasst sowohl deren materielle als auch symbolische Dimension und zeigt, wie Unsicherheit, unseren gegenwärtigen Zustand bestimmt und sogar subtil fördert. Eher auf einer Makro- als auf einer individuellen Ebene befasst sich seine letzte Arbeit Renaissance mit der Frage, wie persönliche Krisen überwunden werden können. Zwischen Dokumentation und Verzerrung der Realität versammelt sie gegenwärtige Rituale von Städtern zur Stärkung ihrer Resilienz. In Security gewann den ersten Preis des Münzenberg-Forums. Seine Arbeiten wurden international, u.a. im Robert Capa Center Budapest, der Technischen Sammlung Dresden, Galleri Image Aarhus, ausgestellt. Nils Stelte wurde für das europäische Förderprogramm Parallel – European Photo Based Platform ausgewählt.
Ausstellungsort: Alte Bleiche, Bleicherain 4, Lenzburg
Öffnungszeiten:
Freitag, 14 – 17 Uhr
Samstag, Sonntag, 10.00 – 17.00 Uhr
Eintrittspreise
- Erwachsene, CHF 13.–
- Studenten und Lernende, CHF 10.–
Freier Eintritt für:
- Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre
- Mitglieder Kulturlegi
Gültigkeit der Eintrittskarten: Ausstellung Stapferhaus, Ausstellung Alte Bleiche.
Die Tageskarte für den Besuch der Indoor-Ausstellungen des Festivals ist am Eingang der Ausstellungsorte (Stapferhaus und alte Bleiche) erhältlich: Erwachsene 13 CHF, Studenten 10 CHF, Kinder bis 16 Jahre und Kultulegi gratis.